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Erzählung des Fahnenkopfes Schloss Salenegg
Anno achtzehnhundert sechzig und ein
Anno achtzehnhundert sechzig und ein,
Da fiel meinem Herrn der Gedanke ein,
Das Dach zu verkleistern, dass Schnee und Wind
Keinen Eingang ins Inn‘re des Hauses find‘.
Er besuchte mich selbst und fand mich leidend
Am Podagra – durch die Winde, die schneidend
Meine Füsse erfrört – mein Kopf war kahl
Und Löcher und Wunden im Leib ohne Zahl.
«Den muss man kurieren», so dachte er
Und rief den Meister sogleich hieher:
«Der Kopf wird vergoldet, der Leib wird neu,
Und Füsse macht ihm, die halten ihn treu!»
«Dafür aber, Herr Fähnrich, sage mir,
Wie lange du schon gestanden hier,
und was du auf deinem Posten erfahren.
Gewiss kannst du mir erzählen von Freud‘ und gefahren.»
So sprach mein Gebieter mit ernstem Gesicht,
Ich durfte nicht sagen, ich wolle nicht –
Ha! Dachte ich, ich thue was ich kann,
Und dann die Erzählung wie folgt begann:
Ich habe nun gestanden bald achtzig Jahr
Und vieles gesehen, was um mich war.
Ich sah, wie in den neunziger Jahren
Die Osterreicher hier mit den Franzosen gefahren,
Wie Weisse und Blaue im Hofe allhier
Abwechselnd Wein tranken aus dem gleichen Geschirr,
Wie die Russen, vor Hunger und Müde halbtot
Ihr Röslein verkauften um einen Laib Brot.
Anno achtzehnhundert sieben und zehn –
Mir mochte fast Hören und Sehen vergehn –
Der Hagel schlug alles auf Feldern und Rain
Zusammen, und die Scheiben in Stücke klein;
Der Rhein schwoll an, überschwemmte die Au
Und Hunger und Elend trat allweg zur Schau.
Anno achtzehnhundert zwanzig und acht,
Da hat’s unser Herrgott besser gemacht;
Er spendete Trauben in grosser Zahl
So dass man verlegen war um Lokal.
In unserem Torkel war man gar fleissig,
Denn Zuber macht‘ man fünfhundert und dreissig
Aus neunzig Mannschnitz; - es gebrach an Platz
Zu bergen den reichlich gespendeten Schatz.
Anno achtzehnhundert dreissig und vier
War Angst und Sorgen beisammen hier.
Im Augustmond brach der Rhein herein.
Doch im Oktober gab’s viel köstlichen Wein.
Im Jahr achtzehnhundert vierzig und vier
War Feu’r in der obern Vorstadt hier.
Fünfzehn Häuser verbrannt und gleichviel Ställ‘,
Die Flamme lodert zum Himmel hell,
Und hätt‘ der Wind sich dann umgedreht,
So wäre das ganze Städtchen verheert.
Das Schlimmste von diesen fünfziger Jahren
War fünfzig und eins, wo die Trauben auf Schlitten eingefahren
Denn Ende Oktober hats eingeschneit
Und kalt ist‘s geblieben gar lange Zeit.
Die Trauben im Wingert sind hart gefroren
Und der Wein im Torkel hat nicht gegohren.
Seitdem nun hatten wir immerhin
Viel Glück mit dem Weinstock, denn im Veltlin
War der Rebstock erkrankt, gab keinen Wein,
Wir durften mit den Preisen zufrieden sein.
Der Wert der Wingert stieg ungeheuer,
Zwanzig Franken der Klafter schien nicht mehr zu teuer.
Auch war viel Verdienst an der Eisenbahn,
Wenn auch entstand manch‘ schwieriger Spahn.
Nun Rothschilds Kohli braust und schnaubt,
So dass man oft an Hexenwerk glaubt.
Man fährt nun in dreissig Minuten nach Chur,
In vier Stund nach St. Gallen, genau nach der Uhr.
Und will man noch schneller correspondieren,
So kann man allwärts auch telegraphieren!
So geht’s in der Welt, und nach achzig Jahren
Wird man noch s‘blaue Wunder erfahren!
Wenn man mich dann wieder examiniert –
Ist fliegen das einfachst‘ was existiert.
Noch wollt ich erzählen von diesem Haus,
Wie Kummer und Freude zog ein und aus,
Allein mein Gebieter sich zu mir richt‘ –
«Von diesen Dingen spricht man nicht!»